Lehrwerke
Eine Einführung und grundlegende Gedanken
4. Der innere Aufbau eines Lehrwerks
4.3. grammatische Progression
Neben dieser Frage ist ein weiterer Aspekt für die Diskussion des inneren Aufbaus eines Lehrwerks besonders wichtig: In welcher Reihenfolge werden die sprachlichen Handlungen und die sprachlichen Strukturen behandelt? In der Fremdsprachendidaktik bezieht man sich auf diese Diskussion um die Reihenfolge mit dem Fachbegriff Progression.
Die Frage, wie eine Progression bei den sprachlichen Strukturen auszusehen hat, ob sie sich z.B. am natürlichen Spracherwerb von Kindern oder auch von Erwachsenen orientieren soll oder ob für die künstliche Kommunikation im Klassenzimmer/Kursraum andere Reihenfolgen sinnvoll sind, wird in der Fremdsprachendidaktik intensiv diskutiert. Darauf können wir an dieser Stelle nicht eingehen, aber wir wollen zumindest mit einem Beispiel das Thema Progression anhand des Gegenstandsbereichs Grammatik aufgreifen: Soll in einem Lehrwerk zuerst das Perfekt oder das Präteritum eingeführt werden? Das ist keine triviale Frage. In Lehrwerken findet man unterschiedliche Lösungen. In Deutsche Sprachlehre für Ausländer (siehe den Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis unten), einem Lehrwerk, das zu einer Zeit erschien, als der Fremdsprachenunterricht vor allem auf das Vermitteln grammatischer Strukturen ausgerichtet war, wird zuerst das Präteritum eingeführt, danach das Perfekt.

In Deutsch aktiv (siehe den Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis unten), einem Lehrwerk, das Ende der 1970er-Jahre erschien und für Deutsch als Fremdsprache den Beginn der kommunikativ orientierten Lehrwerke darstellt, werden Perfekt und Präteritum in einer einzigen Lektion eingeführt.
In den meisten neueren Lehrwerken findet sich die Reihenfolge Perfekt vor Präteritum (siehe die Auszüge aus dem Inhaltsverzeichnis des Lehrwerks Lagune, Kursbuch 1 und 2).
Gibt es eine richtige Reihenfolge? Wenn man erst das Präteritum einführt, aber möchte, dass die Lernenden viel miteinander sprechen, dann kommt es vielleicht dazu, dass ein Lernender einen anderen auf dem Weg in die Cafeteria fragt Aßest du schon? Unter dem Gesichtspunkt der mündlichen Kommunikation wäre es also sinnvoller, zunächst mit dem Perfekt sowie dem Präteritum der Verben sein und haben anzufangen, auch wenn man sich dann gleich mit der Bildung von Partizipien und der Tatsache, dass man das Perfekt im Deutschen mit den Verben haben und sein bilden kann, beschäftigen muss. Bei einer Lerngruppe hingegen, bei der das Lesen von Texten an erster Stelle der Lernziele steht, mag das Präteritum ein besserer Kandidat für die erste Vergangenheitsform sein, die man im Lehrwerk einführt. Beide gleichzeitig einzuführen, stellt für die Lernenden eine große Herausforderung und wahrscheinlich oft eine Überforderung dar. Im Lehrwerk Deutsch aktiv, in dem das versucht wird, finden sich in der betreffenden Lektion vier aufeinanderfolgende Seiten mit reiner Grammatikpräsentation.