Lehrwerke
Website: | Moodle-Kursserver der Friedrich-Schiller-Universität Jena |
Kurs: | Mediendidaktik im FS-Unterricht |
Buch: | Lehrwerke |
Gedruckt von: | Gast |
Datum: | Dienstag, 24. Juni 2025, 08:45 |
Beschreibung
Eine Einführung und grundlegende Gedanken
1. Einführung
Sie arbeiten wahrscheinlich häufig mit dem Lehrbuch und dem Arbeitsbuch und den mitgelieferten Hörmaterialien arbeiten und dass Sie seltener Radio, Zeitungen, Internet oder soziale Medien in den Unterricht einbeziehen. In sehr vielen Kontexten kommt dem Lehrwerk eine zentrale Rolle für die Unterrichtssteuerung zu. Es ist deshalb für Lehrende wichtig, mit grundlegenden Aspekten von Lehrwerken vertraut zu sein. Gleichzeitig machen viele Lehrende die Erfahrung, dass das Lehrwerk zwar immer mehr Teile hat, trotzdem aber nicht genau zu ihrer Lerngruppe und zu bestimmten Lernzielen passt, so dass sie Lehr- und Lernmedien verändern oder selbst produzieren müssen, damit es zu ihrer Gruppe passt.
2. Bestandteile und ihre Funktion
Das Lehrbuch, manchmal auch Kursbuch, Schülerbuch, Lernerbuch oder Hauptbuch genannt,bildet zusammen mit dem Arbeitsbuch und dem Lehrerhandbuch den Kern desLehrwerks. Manchmal bestimmt der Einsatz dieser drei Lehrwerkkomponenten die Aktivitätenim Klassenzimmer/Kursraum, manchmal sind sie eine Quelle neben anderen.Lassen Sie sich nicht verwirren: Bei manchen Lehrwerken werden Lehrbücher und Arbeitsbüchergetrennt als separate Bücher verkauft, bei manchen sind beide in einemBand integriert. Das erklärt, warum es Lehrwerke für den Bereich A1 bis B1 gibt, die auszwei oder drei Bänden bestehen, und Lehrwerke, die z.B. aus fünf Bänden bestehen: Einegrößere Zahl von Bänden bedeutet oft, dass dort die Arbeitsbücher integriert sind.Dann gibt es in der Regel auch noch CDs oder Hörmaterialien oder Videos im Internet,Wortschatztrainer, Grammatiktrainer, Arbeitsblätter, Kopiervorlagen zum Herunterladen,Online-Übungen oder digitales Material für ein interaktives Whiteboard.
Im Laufe der Zeit sind Lehrwerke immer komplexer geworden, d. h. sie haben mehr undmehr Teilkomponenten bekommen. Dies ist nicht zuletzt eine Nebenwirkung der Digitalisierungvon Lehr- und Lernmedien. So gibt es zu den printgeleiteten Lehrwerken nichtnur immer mehr digitale Komponenten, sondern häufig auch eine digitale Variante.
Die ersten digitalen Komponenten waren CDs mit Grammatikübungen. Beim LehrwerkPasswort Deutsch wurden dann erstmals auf der Verlagshomepage zu jeder Lektion zusätzlicheÜbungen oder auch inhaltliche Erweiterungen, z.B. durch Fotogalerien, angeboten.Inzwischen haben viele Verlage ein breites Portfolio an digitalen Komponenten:Zusätzlich zu den Lehrwerken gibt es Online-Tests, interaktive Online-Übungen und Vokabelpakete.Die Lehrwerke gibt es als Varianten für interaktive Tafeln und Tablets, alsVariante für Moodle oder auch für andere Lernplattformen (z.B. BlinkLearning). Die zuden Lehrwerken gehörenden Video- und Audiomaterialien werden auf DVD, als Downloadoder in einer Augmented-Reality-App angeboten.
Dieser Begriff stammt ursprünglich nicht aus der Verlagswelt. Bei Augmented Realitywerden der physischen Realität virtuelle Elemente hinzugefügt, es kommt also zu einererweiterten (engl. augmented) Realität. Das Spannende an dieser Sache ist, dass im Kopfdes Nutzers die beiden Welten zusammenkommen und wie in einem Raum existieren.Wer Mitte der 2010er-Jahre auf eine Gruppe von Menschen traf, die auf ihr Handy starrtenund sich für den Betrachter eher seltsam verhielten, erlebte das erste sehr populäreAuftreten von Augmented Reality, die Jagd nach Pokémons.
Bei der Verwendung von Augmented Reality im Zusammenhang mit Lehr- und Lernmedienwerden neue Wege beschritten, wie das Material zu den Nutzenden kommt.Wer mit seinem Smartphone die Seite eines Lehrwerks scannt und auf eines der Iconsklickt, kann Lernmaterial in Form von Audio- oder Videodateien abspielen. Dies bedeutetzunächst einmal, dass die Lernenden auf eine sehr elegante Weise zusätzliche Informationenbekommen und dass eine Vielzahl von Materialien aufgerufen werden kann, zumBeispiel ein Dialog, eine Grammatikübung usw. Diese Technik hat Potenzial, denn mankönnte sich vorstellen, dass der gesamte Prozess der Individualisierung des Lernens überdiese Technik vorangetrieben wird. Aktuell muss man allerdings festhalten, dass zunächstauf diese Weise nur Material geliefert wird, das nicht unbedingt besser oder schlechter istals Material, das auf traditionelle Weise vertrieben wird.
Zusammen sollen Lehrbuch und Arbeitsbuch
- den Spracherwerb steuern,
- in bestimmte Themen einführen,
- dabei den passenden Wortschatz und die landeskundlichen Informationen liefern,
- grammatische Phänomene und Redewendungen präsentieren,
- Material zum Üben anbieten,
- Kommunikationsanlässe liefern,
- den Erwerb der Aussprache anleiten,unterschiedliche Arbeits- und Sozialformen vorschlagen und unterschiedliche Textsortenenthalten,das Sprechen, Schreiben, Lesen und Hören und das Zusammenspiel dieser Fertigkeitenfördern,
- den Lernenden Hinweise anbieten, wie sie ihr Wissen überprüfen können.
Die Rolle, die die Komponenten Lehrbuch und Arbeitsbuch dabei spielen, ist allerdingsunterschiedlich. Von einem Lehrbuch erwartet man generell, dass es die wesentlichenInhalte, das heißt die Themen, den Wortschatz, die Redemittel und die sprachlichen Strukturen, die man einführen will, vorgibt. Es stellt damit die Grundlage für den Unterricht dar.
Das Arbeitsbuch kann hingegen unterschiedliche Funktionen haben: Manchmal liefert es vor allen Dingen Material für die Einzelarbeit zu Hause; manchmal muss es stärker in den
Unterricht integriert werden, da es – gemäß der Konzeption des Lehrwerks – das Lehrbuchergänzt und ein notwendiger Bestandteil für den Unterricht ist. In beiden Fällen geht man aber davon aus, dass im Arbeitsbuch im Vergleich zum Lehrbuch stärker geübt oder wiederholt wird und dass die Einführung von Neuem eher im Lehrbuch erfolgt. Da Arbeitsbücher unterschiedlich gestaltet sein können, lohnt es sich, vor der Einführung eines neuen Lehrwerks darüber nachzudenken, wozu man sie einsetzen möchte.
2.1. Qualität von Arbeitsbüchern
Generell ist es ein Zeichen für hohe Qualität, wenn Sie die folgenden Fragen positiv beantworten können:
- Ist das Arbeitsbuch mit dem Lehrbuch verzahnt? Verweisen die Komponenten aufeinander?
- Gibt es im Lehrbuch Hinweise, wann welche Übung des Arbeitsbuchs gemacht werden soll?
Andere Einschätzungen hängen davon ab, wie Sie mit dem Arbeitsbuch arbeiten möchten. Hier sind weitere Fragen, die man an ein Arbeitsbuch stellen kann:
- Werden im Arbeitsbuch nur die Strukturen und der Wortschatz aus den Lektionen des Lehrbuchs geübt oder gibt es eigenständige Aufgaben (z.B. Arbeitsaufträge für Projekte oder kreative Schreibaufgaben)?
- Gibt es Angaben zu Sozialformen wie Partner- oder Gruppenarbeit?
- Gibt es Grammatikerklärungen im Arbeitsbuch? Sind das Wiederholungen aus dem Lehrbuch oder präzisieren und erweitern sie das Wissen über sprachliche Strukturen?
- Werden Vertiefungen angeboten, z.B. in Form von zusätzlichen Themen oder Projektvorschlägen?
Je nachdem, ob Sie möchten, dass mit dem Arbeitsbuch einfach nur das geübt werdensoll, was im Unterricht behandelt wurde, oder ob es für Ihren Unterricht sinnvoll ist, dassArbeitsbücher Anregungen für Aktivitäten, zusätzliche Informationen usw. anbieten,werden die Bewertungen der Antworten auf die letzten vier Fragen sehr unterschiedlichsein. So kann die aufwendig gemachte Hinführung zu einem Projekt für Sie z.B. eine tolleErgänzung Ihres Unterrichts oder aber Platzverschwendung sein.
2.2. Lehrerhandbuch
Um die Konzeption eines Lehrwerks nachzuvollziehen, hilft Ihnen in der Regel das Lehrerhandbuch.Es erklärt Ihnen das Lehrwerk und zeigt Ihnen, wie Sie mit den Komponentenarbeiten können. Lehrerhandbücher gibt es traditionell in gedruckter Fassung. Immer häufiger stehen sie aber auch im Internet auf den Lehrwerkseiten der Verlage als Download zur Verfügung oder sind Teil von digitalen Unterrichtspaketen. Falls Sie sich schon einmal Lehrerhandbücher zu verschiedenen Lehrwerken angesehen haben, haben Sie sich vielleicht gewundert, wie unterschiedlich deren Umfang sein kann. Es gibt sehr dünne und sehr dicke Lehrerhandbücher, die manchmal auch Lehrerhandreichung oder Lehrerheft heißen. Tatsächlich sind Lehrerhandbücher ganz unterschiedlich geschrieben; manchmal sind sie nicht viel mehr als eine Art Lösungsschlüssel, manchmal wirken sie fast wie Einführungen in die Fremdsprachendidaktik. Natürlich gibt es alle möglichen Varianten dazwischen. Wie sehen die Lehrerhandbücher zu den Lehrwerken aus, mit denen Sie arbeiten? Verwenden Sie die Lehrerhandbücher überhaupt?
Dass Lehrerhandbücher so unterschiedlich sind, hat neben kommerziellen Erwägungen auch funktionale Gründe. Es kann sehr unterschiedliche Erwartungen an Lehrerhandbüchergeben. Wer anfängt zu unterrichten, freut sich sicherlich darüber, dass ein Lehrerhandbuch den Unterrichtsablauf Schritt für Schritt erklärt, zu jedem Text und jeder Übung didaktische Tipps vermittelt, Tafelbilder vorschlägt, Hintergrundinformationen zur Landeskunde liefert usw. Als erfahrene Lehrkraft brauchen Sie derartige kleinschrittige Hinweise wahrscheinlich nicht. Viel eher möchten Sie vielleicht Vorschläge für alternative Vorgehensweisen haben, vielleicht sogar Ideen, welches zusätzliche Material man verwenden könnte, oder Kopiervorlagen für Wiederholungen und Spiele.
Das sind eigentlich zwei ganz unterschiedliche Lehrerhandbücher, und so ist es nicht verwunderlich, dass man je nach Ausgangslage mit ein- und demselben Lehrerhandbuchzufrieden oder unzufrieden sein kann. So lange Lehrerhandbücher als gedruckte Bücher oder herunterladbare PDFs geschlossene Texte sind, ist das unvermeidlich. Im Zuge der Digitalisierung von Lehrwerken hat sich hier aber einiges getan. So ist es bei einigen Verlagen und Lehrwerken schon möglich, sich gezielt die Teile eines Lehrerhandbuchs herunterzuladen, die man als Lehrender oder Lehrende benötigt (vergleiche z.B. die Materialien zum Download für Lehrende zum Lehrwerk Delfin von Hueber).
3. Unterschiede zwischen Lehrwerken
Je mehr Lehrwerke Sie sich ansehen, desto mehr werden Sie sehen, wie unterschiedlich diese sind. Jedes Lehrwerk behandelt Themen und liefert damit Wortschatz und landeskundliche Informationen, aber die gewählten Themen und die Art der Vermittlung von Wortschatz und Landeskunde können sehr unterschiedlich sein. Jedes Lehrwerk enthält grammatische Strukturen, aber sie werden unterschiedlich stark geübt und explizit gemacht(also beim Namen genannt). Die Einführung von grammatischen Strukturen erfolgt in den Lehrwerken unterschiedlich schnell: Manchmal werden neue Phänomene sehr schnell nacheinander eingeführt, manchmal geht es langsamer voran und die Lernenden erhalten mehr Raum zum Üben.
Während Wortschatz, Landeskunde und Grammatik in jedem Lehrwerk zu finden sind, gibt es im Bereich der Ausspracheschulung Lehrwerke, die diese sehr systematisch betreiben und (unterschiedlich viel) Metasprache verwenden, um phonetische Phänomene zu benennen. Andere Lehrwerke wiederum überlassen die Ausspracheschulung den Lehrkräften. Im Hinblick auf die Vermittlung des Schreibens, Lesens, Sprechens und Hörens wiederum gibt es zwischen Lehrwerken starke Unterschiede: Da werden die Fertigkeiten einmal intensiv, einmal weniger intensiv behandelt, manchmal gibt es eine große Vielfalt an Übungsmöglichkeiten und Kommunikationsanlässen, manchmal bietet das Lehrwerkwenig Möglichkeiten zum Üben. Lehrwerke unterscheiden sich also zum Teil sehr stark, und es gehört zur Qualifikation von Lehrenden, dass sie zusammen mit Kolleginnen und Kollegen in der Lage sind einzuschätzen, welches Lehrwerk für ihre konkrete Lerngruppe und die konkreten Lernzielegeeignet ist.
4. Der innere Aufbau eines Lehrwerks
Wir werden in diesem Teilkapitel den Aufbau eines Lehrwerks und den inneren Aufbau von Lektionen genauer betrachten. Eine Frage ist dabei besonders wichtig: In welcher Reihenfolge werden welche sprachlichen Phänomene behandelt? Das ist die Frage nach der so genannten Progression.
4.1. Anzahl der Lektionen
Sie haben im letzten Teilkapitel gesehen, dass manche Lehrwerke mit mehr und andere mit weniger Bänden ein bestimmtes Ziel ansteuern. Unterschiede gibt es aber nicht nur bei der Zahl der Bände. Vielleicht haben Sie sich schon einmal gewundert, dass Lehrwerke auch eine unterschiedliche Anzahl von Lektionen brauchen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Um die Niveaustufen A1, A2 und B1 abzudecken, arbeiten manche Lehrwerke mit 30 Lektionen, andere kommen auf bis zu 100Lerneinheiten. Die unterschiedliche Anzahl der Lektionen geht häufig mit einer unterschiedlichen Seitenzahl pro Lektion einher. Der Seitenumfang einer Lektion hängt auchvon der optischen Gestaltung, vom Layout ab. Wenn die Seiten dicht bedruckt sind und dem Bildmaterial wenig Platz zur Verfügung steht, dann benötigt man pro Lektion weniger Seiten als für Lektionen mit einem großzügigen Layout.
Es gibt also unterschiedliche Vorstellungen davon, wie umfangreich eine Lektion sein soll. Viele kurze kleine Lektionen haben einen großen Motivationseffekt für die Lernenden: Wenn sie anfangen, Deutsch zu lernen, sind sie schnell bei Lektion 3 oder 4 und müssen sich nicht so lange bei der ersten Lektion aufhalten. Sie haben das Gefühl, sie seien schon schön weit vorangekommen. Eine eher dünne Lektion wird sich allerdings nur mit einem oder wenigen Phänomenen beschäftigen können. Im Gegensatz dazu kann man der Auffassung sein, dass die Lektion als Organisationseinheit
- ein bestimmtes Thema mit verschiedenen landeskundlichen Informationen (möglichst noch aus unterschiedlichen Perspektiven) präsentieren soll,
- ein oder mehrere Grammatikphänomene und
- ein Ausspracheelement behandeln soll und dass sie
- unterschiedliche Arbeits- und Sozialformen bereitstellen und
- unterschiedliche Textsorten präsentieren soll.
Wenn man einer Lektion all diese Aufgaben zuordnet, dann ist klar, dass sie recht umfangreich sein muss. Die unterschiedliche Länge der Lektionen hängt also unter anderem davon ab, wie die Lehrwerkautorinnen und -autoren diese unterschiedlichen Anforderungen miteinander in Verbindung bringen.
4.2. Zeitaufwand: grobe Orientierung
Wie viele Stunden man braucht, um ein bestimmtes sprachliches Ziel zu erreichen, ist schwer allgemein bestimmbar, auch wenn man manchmal grobe Zeitangaben liest, z.B. 600 Unterrichtsstunden bis Niveaustufe B1 oder 1000 oder 1200 Stunden bis C1. Derartige Zahlen sind nur als grobe Orientierung hilfreich.
In wie vielen Stunden man ein Niveau erreichen kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab: von den Lernenden selbst, ihren Lerngewohnheiten und ihrer Motivation, vom Anteil des Selbstlernens zur Unterstützung des Präsenzunterrichts usw. Eigentlich kann man sagen, dass es faszinierend ist, wie unterschiedlich schnell oder langsam Menschen in unterschiedlichen Kontexten eine Fremdsprache lernen. Aber diese Einsicht nützt Ihnen nichts, wenn Sie in einer Institution Unterricht planen. Sie müssen dabei z.B. prüfen, ob ein Lehrwerk zu den Vorgaben Ihrer Institution passt. Dafür müssen Sie zunächst mit Ihren Kolleginnen und Kollegen auf der Basis der bisherigen Erfahrungen für Ihre Institution festhalten, wie lange Ihre Lernenden normalerweise für das Erreichen eines bestimmten Ziels benötigen. Danach können Sie rechnen: Teilen Sie die für Ihre Institution übliche Stundenzahl durch die Anzahl der Lektionen eines Lehrwerks. So erhalten Sie die Zeit, die bei Ihnen pro Lektion ungefähr zur Verfügung stehen würde. Danach müssen Sie überlegen, ob Sie die Lektionen im vorgesehenen Zeitrahmen mit Ihren Lernenden bearbeiten können. Diese Berechnung der Zeit, die pro Lektion zur Verfügung steht, ist einigermaßen zuverlässig, auch wenn es immer noch Unterschiede zwischen dem Zeitaufwand für einzelne Lektionen geben wird.
Sie können auch noch einen Schritt weiter gehen: Teilen Sie als letztes die Zeit, die pro Lektion zur Verfügung steht, durch die Zahl der Seiten pro Lektion. Das Ergebnis: die Zeit, die pro Seite zur Verfügung steht. Dies ist allerdings ein eher unzuverlässiges Ergebnis: Für manche Seiten braucht man mehr Zeit, für andere weniger. Das hängt davon ab,
4.3. grammatische Progression
Neben dieser Frage ist ein weiterer Aspekt für die Diskussion des inneren Aufbaus eines Lehrwerks besonders wichtig: In welcher Reihenfolge werden die sprachlichen Handlungen und die sprachlichen Strukturen behandelt? In der Fremdsprachendidaktik bezieht man sich auf diese Diskussion um die Reihenfolge mit dem Fachbegriff Progression.
Die Frage, wie eine Progression bei den sprachlichen Strukturen auszusehen hat, ob sie sich z.B. am natürlichen Spracherwerb von Kindern oder auch von Erwachsenen orientieren soll oder ob für die künstliche Kommunikation im Klassenzimmer/Kursraum andere Reihenfolgen sinnvoll sind, wird in der Fremdsprachendidaktik intensiv diskutiert. Darauf können wir an dieser Stelle nicht eingehen, aber wir wollen zumindest mit einem Beispiel das Thema Progression anhand des Gegenstandsbereichs Grammatik aufgreifen: Soll in einem Lehrwerk zuerst das Perfekt oder das Präteritum eingeführt werden? Das ist keine triviale Frage. In Lehrwerken findet man unterschiedliche Lösungen. In Deutsche Sprachlehre für Ausländer (siehe den Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis unten), einem Lehrwerk, das zu einer Zeit erschien, als der Fremdsprachenunterricht vor allem auf das Vermitteln grammatischer Strukturen ausgerichtet war, wird zuerst das Präteritum eingeführt, danach das Perfekt.

In Deutsch aktiv (siehe den Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis unten), einem Lehrwerk, das Ende der 1970er-Jahre erschien und für Deutsch als Fremdsprache den Beginn der kommunikativ orientierten Lehrwerke darstellt, werden Perfekt und Präteritum in einer einzigen Lektion eingeführt.
In den meisten neueren Lehrwerken findet sich die Reihenfolge Perfekt vor Präteritum (siehe die Auszüge aus dem Inhaltsverzeichnis des Lehrwerks Lagune, Kursbuch 1 und 2).
Gibt es eine richtige Reihenfolge? Wenn man erst das Präteritum einführt, aber möchte, dass die Lernenden viel miteinander sprechen, dann kommt es vielleicht dazu, dass ein Lernender einen anderen auf dem Weg in die Cafeteria fragt Aßest du schon? Unter dem Gesichtspunkt der mündlichen Kommunikation wäre es also sinnvoller, zunächst mit dem Perfekt sowie dem Präteritum der Verben sein und haben anzufangen, auch wenn man sich dann gleich mit der Bildung von Partizipien und der Tatsache, dass man das Perfekt im Deutschen mit den Verben haben und sein bilden kann, beschäftigen muss. Bei einer Lerngruppe hingegen, bei der das Lesen von Texten an erster Stelle der Lernziele steht, mag das Präteritum ein besserer Kandidat für die erste Vergangenheitsform sein, die man im Lehrwerk einführt. Beide gleichzeitig einzuführen, stellt für die Lernenden eine große Herausforderung und wahrscheinlich oft eine Überforderung dar. Im Lehrwerk Deutsch aktiv, in dem das versucht wird, finden sich in der betreffenden Lektion vier aufeinanderfolgende Seiten mit reiner Grammatikpräsentation.
5. Prinzipien der Lehrwerkskonstruktion und Progression
wenden wir uns hier zu
5.1. kommunikative Relevanz
Kommunikative Relevanz ist also ein Kriterium für die Festlegung der Reihenfolge von grammatischen Strukturen. Die Frage lautet: Was brauchen die Lernenden für welche Kommunikationssituation? Nicht alle Aspekte eines grammatischen Phänomens müssen sofort behandelt werden, sondern zunächst die, die die Lernenden wahrscheinlich verwenden werden. Je stärker der Unterricht Kommunikation in der deutschen Sprache außerhalb des Klassenzimmers/Kursraums begleitet oder unmittelbar darauf vorbereitet, desto wichtiger ist dieses Kriterium. Es steht aber in Konkurrenz zu anderen Kriterien. So wird kaum jemand bestreiten, dass man bei einem Verb zuerst Formen im Indikativ Präsens einführt, bevor man sich mit komplexen Konjunktivformen beschäftigt.
5.2. einfach vor komplex
Es gibt also auch ein Kriterium, das sich als einfach vor komplex innerhalb des zielsprachlichen Systems beschreiben lässt. Dieses Kriterium hilft manchmal. Bei der Frage, ob man sich nun als Nächstes mit dem Dativ oder mit dem Präteritum beschäftigt, hilft es allerdings nicht.
5.3. einfach vor schwer
Ein weiteres Kriterium, das ins Spiel kommt, ist das Kriterium einfach vor schwer zu lernen. Manchmal überschneidet sich dieses Kriterium mit dem Kriterium einfach vor komplex. So ist der „einfache“ Indikativ Präsens wahrscheinlich für Lernende weltweit leichter zu lernen als der „komplexe“ Konjunktiv. Aber prinzipiell ist „schwer zu lernen“ ein schwieriges Konzept, das nicht nur etwas mit der inneren Systematik einer Sprache zu tun hat, sondern auch mit dem Kontrast zu bereits vorhandenen Sprachen. Wenn eine Lernerin / ein Lerner bisher nur Sprachen gelernt hat, in denen es keine Artikel gibt, dann mag ihr oder ihm der Artikelerwerb größere Schwierigkeiten bereiten als jemandem, die/der das Konzept Artikel schon kennt: Letztere(r) muss nur lernen, dass es im Deutschen so viele davon gibt und sich z.B. fragen, warum die Deutschen denn auf die Idee kommen, die Sonne und der Mond zu sagen und nicht umgekehrt, wie sie/er es aus ihrer/seiner Sprache gewohnt ist.
Die grammatische Progression eines Lehrwerks kann nicht allein nach einem dieser Kriterien festgelegt werden. Bei der Erstellung von Lehrwerken kommt es bei der Anwendung dieser Kriterien in der Regel zu einer Mischung.
5.4. steile versus flache Progression
Die Einführung von grammatischen Strukturen kann sich im Hinblick auf den Zeitraum unterscheiden, in dem neue Strukturen eingeführt werden. Wenn ein Lehrwerk eine steile Progression hat, dann wird in kurzer Zeit sehr viel Neues schnell hintereinander eingeführt. Bei einem Lehrwerk mit einer flachen Progression werden neue Elemente hingegen über einen längeren Zeitraum behandelt und die Lektionen bieten mehr Platz zum Üben.
5.5. zyklische/konzentrische Progression
Schließlich werden viele grammatische Phänomene nicht nur an einer Stelle im Lehrwerk eingeführt, sondern mehrfach behandelt. Bei einer zyklischen oder auch konzentrischen Progression nutzt man die Tatsache, dass viele grammatische Strukturen einfachere und schwierigere Aspekte haben, die man nach und nach einführen kann.
6. Das Sprachniveau eines Lehrwerks
Wenn man einen ersten Blick auf ein neues Lehrbuch wirft, springt einem häufig schon auf der Titelseite die Angabe der Niveaustufe, die erreicht werden soll, ins Auge. Sie dient als erste Orientierung, ob das Lehrwerk zum Sprachniveau der Zielgruppe passt.
6.1. Der Gemeinsame europäische Referenzrahmens für Sprachen
Wie Sie vielleicht schon wissen, wurden seit der Einführung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen, kurz GER genannt, früher gängige Konzepte wie Anfänger, Mittelstufe, Fortgeschrittene durch die Niveaustufen A1, A2, B1, B2, C1 und C2 ersetzt.
Dabei ging es nicht nur um eine Änderung der Begriffe: Es wurde versucht, eine gewisse Einheitlichkeit der Niveaustufen herzustellen, indem beschrieben wurde, was Lernende auf einer bestimmten Niveaustufe sprachlich können sollen. Die Niveaustufen des GER haben sehr schnell eine weltweite Verbreitung gefunden. Sie leiten heutzutage die Erstellung der meisten Lehrwerke.
6.2. Die Komponenten des GeR
6.3. Gedanken zum GeR
Mit dem Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen wurden traditionelle Unterscheidungen der Beschreibung des Sprachstandes von Lernenden wie Anfänger, Mittelstufe und Fortgeschrittene ersetzt durch die Niveaustufen A1, A2, B1, B2, C1 und C2. Für diese Niveaustufen liegen jeweils allgemeine Kann-Beschreibungen vor. Die Niveaustufen beschreiben, was eine Lernerin / ein Lerner können soll, nicht, welche sprachlichen Phänomene in einem Lehrwerk behandelt werden. Innerhalb kurzer Zeit haben sich fast alle Lehrwerke auf diese Niveaustufen eingestellt. Allerdings kann man feststellen, dass es nicht immer ganz einfach ist, die allgemein formulierten Kann-Beschreibungen in Lernmaterial umzusetzen, so dass diese in verschiedenen Lehrwerken unterschiedlich realisiert werden. Es lohnt sich also, vor Einführung eines Lehrwerks genauer hinzusehen, wie die jeweilige Niveaustufe in einem Lehrwerk umgesetzt wurde. Auch kann man besser zusätzliches Material in den Unterricht bringen, das zum Sprachstand der Lernenden passt, wenn man sich klarmacht, wie sich die verschiedenen Niveaustufen konkret in sprachliches Material übersetzen lassen.
7. Zielgruppen für Lehrwerke
Meistens wählen Lehrkräfte das Lehrwerk für ihren Unterricht nicht selbst aus. Schulbehörden, Universitäten oder die jeweiligen Sprachkursanbieter machen dazu meist Vorgaben. Diese haben oft etwas mit dem Preis, mit Lehrplänen und Prüfungsordnungen oder auch mit den Inhalten oder der Ausrichtung von Lehrwerken zu tun. Wenn Sie als Lehrkraft jedoch Einfluss haben auf die Wahl des Lehrwerks, mit dem Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen arbeiten, brauchen Sie Kriterien, nach denen Sie ein geeignetes Lehrwerk für Ihre Zielgruppe auswählen können. Darum soll es in diesem Teilkapitel gehen.
Lehrwerke werden zwar für bestimmte Zielgruppen (z.B. für Lernende in der Primar- oder Sekundarstufe 1, für Jugendliche oder Erwachsene) geschrieben, eignen sich aber nicht immer hundertprozentig für die eigene Zielgruppe. Sie werden in der Regel von Verlagen produziert, die natürlich versuchen, das Lehrwerk erfolgreich auf den Markt zu bringen. Daraus ergibt sich ein gewisser Widerspruch, mit dem Sie als Lehrkraft umgehen müssen: Für ein kommerziell produziertes Lehrwerk ist es ein Ziel, möglichst viele Lernende zu erreichen. Für Sie als Lehrkraft wäre es am besten, wenn es Lehrwerke gäbe, die genau zu Ihrer konkreten Gruppe von Lernenden passen.
7.1. Alter
Die meisten Lehrwerke berücksichtigen das Alter der Lernenden. Oft allerdings nur in der groben Unterscheidung Kinder, Jugendliche, Erwachsene. Nur selten wird noch feiner differenziert. Es macht aber einen großen Unterschied, ob Lernende 14 oder 16 Jahre alt sind; auch Lehrwerke für ältere Erwachsene gibt es leider kaum. Die Einschätzungen, welche Themen oder auch Lernaktivitäten für Kinder, Jugendliche oder Erwachsene angemessen sind, sind zum Teil sehr unterschiedlich. Was unter Kindheit oder Jugend verstanden wird, ändert sich im Lauf der Zeit und ist auch in verschiedenen kulturellen Kontexten anders.
7.2. Aufgabe: Diskussion
Diskutieren Sie mit Ihren Kollegen über die Merkmale, die Lehrwerke jeweils für Kinder, für Jugendliche und für erwachsene Lernende attraktiv machen. Protokollieren Sie Ihre Diskussion.
7.3. Deutsch nach Englisch
Lehrwerkautorinnen und -autoren haben auf die Tatsache reagiert, dass die meisten Deutschlernenden bereits mehrsprachig sind. So denken inzwischen mehrere einsprachige Lehrwerke Englisch als bereits vorhandene Fremdsprache mit. Das nächste Lehrwerkbeispiel stammt aus einer speziell für dieses Thema produzierten Sammlung von Lernmaterial aus dem Bereich Deutsch nach Englisch. Es zeigt, wie hilfreich die Arbeit mit den englischen Vorkenntnissen der Lernenden sein kann.
7.4. einsprachige und zweisprachige Lehrwerke
Für Deutsch als Fremdsprache ist schon immer eine Zweiteilung zu beobachten gewesen: Es gab und gibt die im deutschsprachigen Raum hergestellten, weltweit vertretenen einsprachigen Lehrwerke. Alle Beispiele, die Sie in diesem Kapitel bisher gesehen haben, stammen aus einsprachigen Lehrwerken. Daneben gibt es die in bestimmten Ländern produzierten zweisprachigen Lehrwerke. Diese nehmen für sich in Anspruch, durch die Zweisprachigkeit und durch die Arbeit mit dem Kontrast zwischen Erstsprache und Deutsch den Lernenden in einer Weise beim Deutscherwerb zu helfen, wie das einsprachige Lehrwerke nicht können. Der Kontrast kann sich auf unterschiedliche Gegenstände beziehen, in den beiden folgenden Abbildungen zum Beispiel auf Wortschatz und Landeskunde. Aber auch die Arbeit mit Kontrasten bei der Ausspracheschulung, der Grammatikvermittlung oder der interkulturellen Kommunikation sind möglich, z.B. wenn unterschiedliche Vorstellungen von höflichem Verhalten thematisiert werden. Das ist ein hoher Anspruch; immer eingelöst wird er nicht. Wenn die Zweisprachigkeit bei einem Lehrwerk eine Rolle spielt, dann muss sie sich auf die Gestaltung des Lernmaterials insgesamt beziehen. Wenn z.B. nur die Arbeitsanweisungen eines ansonsten einsprachigen Lehrwerks in die Erstsprache der Lernenden übersetzt wurden, handelt es sich nicht um ein zweisprachiges Lehrwerk, das aus den Kontrasten Hilfen für die Lernenden produziert.
7.5. Kriterien zur Einschätzung von Lehrwerken
Sie haben jetzt zwei Faktoren näher kennengelernt, die Lehrwerkautorinnen und -autoren bei der Entwicklung eines Lehrwerks berücksichtigen: das Alter der Lernenden und die von den Lernenden schon gelernten Sprachen. Daneben gibt es natürlich noch mehr Merkmale, die ein Lehrwerk aufweisen sollte, wenn es zu Ihren Lernenden passen soll. In der Fremdsprachendidaktik wurden zahlreiche Kriterien zur Einschätzung von Lernmaterialien entwickelt und diskutiert. Außerdem entstanden ganze Kriterienkataloge zur Einschätzung von Lehrwerken: Zunächst – und immer noch am umfangreichsten – die Mannheimer Gutachten (Engel u.a. 1977), später dann handlichere Kataloge wie z.B. der Stockholmer Kriterienkatalog (Krumm 1998). Solche umfangreichen Kriteriensammlungen zu diskutieren, ist im Kontext dieser Fortbildung nicht sinnvoll. Aber Sie haben sich auf den bisherigen Seiten dieses Kapitels schon mit einer ganzen Reihe von Gegenständen befasst, die als Kriterien für die Einschätzung von Lehrwerken dienen können. Im Folgenden finden Sie eine Liste mit möglichen Kriterien; viele davon haben wir in diesem Kapitel angesprochen. Ergänzen Sie sie um Kriterien, die Sie für Ihre Arbeit noch zusätzlich wichtig finden.