Lehr- und Lernmedien: erste Gedanken

Website: Moodle-Kursserver der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Kurs: Mediendidaktik im FS-Unterricht
Buch: Lehr- und Lernmedien: erste Gedanken
Gedruckt von: Gast
Datum: Dienstag, 24. Juni 2025, 12:08

1. Vorüberlegung

Beim natürlichen Spracherwerb lernen die Menschen die neue Sprache aus der Interaktion mit ihrer Umgebung – sie verarbeiten, so nennt man das, den sprachlichen Input. Im Unterricht besteht der Input zumeist aus Material, das speziell für den Unterricht produziert wurde. Aber auch die Menschen, die eine neue fremde Sprache im Unterricht lernen, hören, lesen oder sehen Texte, die nicht speziell für ihren Lernprozess produziert wurden. 

Aufgabe 1: Machen Sie zunächst eine Bestandsaufnahme: Womit lernen Ihre Lernenden häufig, manchmal, selten oder nie? Beziehen Sie dabei ein:

Lehrwerke; Internetkomponenten zum Lehrwerk; Apps; Radio; Fernsehen; Bücher; Internet; Zeitungen; MuttersprachlerInnen des Deutschen; soziale Medien; Videos; Realien; sonstiges.

Überlegen Sie sich selbst eine Form, wie Sie Ihre Ergebnisse anderen präsentieren und vergleichen können. Laden Sie für den kollegialen Austausch Ihre Darstellung im Forum zu Aufgabe 1 hoch.


2. Lehr - und Lernmedien

Der Begriff Lehr- und Lernmedien bezeichnet alle Medien, mit denen Inhalte, Aufgaben usw. transportiert werden, um so den Erwerb von Wissen und Fertigkeiten zu fördern und die Lernenden beim Deutschlernen zu unterstützen. Lehr- und Lernmedien können also Lehrwerke, geschriebene und gesprochene Texte, Abbildungen aller Art, Spiele, Filme, Apps usw. sein. Sie können extra für das Lernen im Klassenzimmer hergestellt worden sein. Es gibt aber auch Lehr- und Lernmedien wie Zeitungsartikel, Radiosendungen usw., die eigentlich für ganz andere Zwecke verfasst wurden und dann für das Sprachenlernen eingesetzt werden. Der Begriff Lehr- und Lernmedien kann sich auf einzelne Medien oder auf Sammlungen von Medien beziehen. Wenn man betonen will, dass Lehr- und Lernmaterialien zusätzlich zum Lehrwerk eingesetzt werden, bezeichnet man sie auch als Zusatzmaterialien.

Die Begriffe Lernmaterial und Lehrmaterial bzw. Lernmedien und Lehrmedien sind synonym im Hinblick auf die Materialien bzw. Medien, auf die sie sich beziehen. Traditionell herrschte der Begriff Lehrmaterial/Lehrmedium vor, der Begriff Lernmaterial bzw. Lernmedium wurde erst in den 1970er-Jahren unter den Fremdsprachenforscherinnen und -forschern populär: Sie wollten mit dem Begriff signalisieren, dass die Perspektive der Lernenden eine wichtige Rolle spielt. Das war historisch wichtig, darf aber natürlich nicht zu der Idee führen, dass die Beschäftigung mit den Lehrenden und mit der Vermittlung nicht wichtig ist. Als Kompromiss erscheint manchmal der Begriff Lehr-/Lernmaterial bzw. Lehr-/Lernmedien. Einheitlich sind die Verwendungsweisen nicht: Selbstlernmaterialien hießen auch schon vor 1970 Selbstlernmaterial und Lehrwerke heißen auch im 21. Jahrhundert noch Lehrwerk.

Eine Abgrenzung zwischen Material/Materialien und Medium/Medien erscheint uns problematisch, da beide Begriffe zunehmend synonym gebraucht werden. Da die Anzahl an digitalen Lehr- und Lernmedien die in Papierform vorliegenden Lernmaterialien inzwischen sehr stark erweitert haben und wahrscheinlich zahlenmäßig längst übersteigen, verwenden wir den Begriff der Lehr- und Lernmedien als Oberbegriff. Diesen beziehen wir sowohl auf digitale Lehr- und Lernmedien als auch auf nicht-digitale. Zudem arbeiten wir mit der Unterscheidung zwischen Medien und Werkzeugen, wie sie Mitschian 2004 eingeführt hat.


3. Medien und Werkzeuge

Alle Lehr- und Lernmedien haben eine inhaltliche und eine stoffliche Gestalt. Mitschian hat versucht, diese Perspektive auf Lehr- und Lernmedien sichtbar zu machen, indem er die Unterscheidung zwischen Werkzeug und Medium eingeführt hat. Während ein Werkzeug eine inhaltsleere Anwendung darstellt, ist das Medium ein Informationsträger, der „aus Verbindungen von Zeichen- und Symbolsystemen mit einer jeweils dazu passenden Präsentationsform“ besteht (Mitschian 2004, S. 13). Die Unterscheidung kann dabei helfen, jeweils klarer zu bezeichnen, worüber man gerade spricht. Gerade in Bezug auf digitale Medien (und Werkzeuge) kommt es nämlich häufig zu Unklarheiten: Wenn man über den Einsatz von Podcasts im Deutschunterricht redet, muss man klarstellen, ob es um den Einsatz einer Podcast-Software geht, mit deren Hilfe Lernende eigene Podcasts erstellen, oder ob man über didaktisierte oder nicht didaktisierte Podcasts spricht, die z.B. zur Förderung des Hörverstehens eingesetzt werden sollen. Eine weitere Unterscheidung, auf die man in Bezug auf die digitalen Medien häufig stößt, ist die zwischen analogen und digitalen Medien.

4. Analoge und digitale Medien

In der Diskussion um digitale Medien werden diese häufig von analogen Medien abgegrenzt. Tatsächlich wird die Abgrenzung aber immer schwieriger, weil viele der ehemals analogen Medien inzwischen auch oder nur noch in digitaler Form vorliegen (so können Lernende Lernplakate inzwischen sowohl auf Papier anfertigen als auch mit einer App auf dem Computer). Während der Begriff „digitales Medium oder Werkzeug“ noch definiert werden kann (als ein elektronisches Medium, das mit digitalen Codes arbeitet), bleibt meist völlig unklar, was mit dem Begriff „analog“ eigentlich gemeint ist. Das führt dazu, dass unter analogen Medien die unterschiedlichsten Medien zusammengefasst werden müssen (wie z.B. das Buch auf Papier und das analoge Fernsehen), da analogen Medien nur gemein ist, dass sie nicht digital sind. Wir sprechen deshalb in diesem Band ganz allgemein von Lehr- und Lernmedien. Die Unterscheidung zwischen digitalen und nicht-digitalen Medien benutzen wir nur dann, wenn es uns wichtig erscheint, auf die stoffliche Gestalt des Lehr- und Lernmediums zu fokussieren. In diesem Fall konkretisieren wir dann auch, wie die stoffliche Gestalt aussieht. So werden wir in Bezug auf das Lehrwerk immer dann darauf hinweisen, dass wir über das Lehrwerk in Buchform sprechen, wenn die gerade getroffenen Aussagen nicht oder nicht in gleicher Weise auch für die digitale Version des Lehrwerks gilt (oder umgekehrt).

Neben der begrifflichen Unterscheidung ist die Frage interessant, wie sich der Einsatz von Lehr- und Lernmedien beim Fremdsprachenlernen im Laufe der Zeit verändert hat. Um diese zeitliche Perspektive in den Blick zu bekommen, möchten wir Sie bitten, in der folgenden Aufgabe zu vergleichen, womit Sie früher gelernt haben und was Sie heute in Ihrem Unterricht nutzen oder gern nutzen würden.

Welche Lehr- und Lernmedien (inklusive Werkzeugen) nutzen Sie aktuell als Lehrkraft in Ihrem Unterricht - mit welchen Lernen Ihre Lerner? Sie habe das als Aufgabe schon vorbereitet. Wenn Sie Ihre Ergebnisse mit denen von Kolleginnen und Kollegen vergleichen, gibt es sicher einige Unterschiede dabei, welche Lehr- und Lernmedien. Dabei spielen ganz unterschiedliche Voraussetzungen eine Rolle, wie z.B. die Ausstattung der Schulen/Institutionen, die didaktisch-methodischen Vorstellungen der Lehrkräfte, von denen Sie unterrichtet wurden, bzw. Ihre eigenen Vorstellungen vom Lernen und Lehren und Ihre aktuellen Medienkenntnisse.


5. Mediennutzung im Fremdsprachenunterricht

Das grundlegende Medium des Fremdsprachenunterrichts war über einen sehr langen Zeitraum das Buch. Das veränderte sich (in Teilen) mit der rasanten technischen Entwicklung im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielten in der fremdsprachendidaktischen Diskussion zunehmend auch andere Medien im Unterricht eine Rolle, und zwar in Verbindung mit den audiolingualen und audiovisuellen Methoden (siehe als Überblick Rösler 2012, S. 71–74). So wurde die audiolinguale Methode, die zum Ziel hatte, sprachliche Strukturen schematisch einzuüben, durch den Unterricht im Sprachlabor unterstützt. Das Sprachlabor war ein separater Raum, in dem jede Lernerin / jeder Lerner einen eigenen Arbeitsplatz mit Kopfhörer und Mikrofon hatte und Sätze, die auf einer Kassette vorgesprochen wurden, wiederholte oder darauf mit festgelegten sprachlichen Strukturen reagierte. Die Stimmen konnten aufgenommen und wieder abgespielt werden. Die Lehrkraft saß an einem Kontrollpult und konnte einzelnen Lernenden zuhören und mit ihnen Kontakt aufnehmen.

Mit der audiovisuellen Methode wurde visuelles Lernmaterial über Dias, Spielfilme und das Fernsehen in den Unterricht eingeführt. Nun sahen die Lernenden erstmalig in größerem Umfang authentische Bilder, hörten Äußerungen unterschiedlicher Sprecherinnen und Sprecher der Zielsprache und bekamen Informationen über den Kontext, in dem die Sprache verwendet wurde.

Für den kommunikativen und den interkulturellen Ansatz stellt die Verwendung vielfältiger Lehr- und Lernmedien prinzipiell eine Selbstverständlichkeit dar – die Lernenden sollen mit Texten in Schriftform genauso in Berührung kommen wie mit vielfältigen Hör- und Hör-Seh-Texten. An manchen Unterrichtsorten werden letztere vor allem in Form von Lehrwerkskomponenten genutzt (z.B. auf einer DVD zum Lehrwerk, die Hörtexte und Filme enthält). An anderen Orten nutzen Lehrende dagegen digitale Lehr- und Lernmedien, die von kommerziellen oder nicht kommerziellen Anbietern gezielt für den Fremdsprachenunterricht oder auch für ganz andere Zielgruppen im Internet bereitgestellt werden. So haben sich in den letzten Jahren die Vorschläge zur Nutzung von You-Tube-Videos im Deutschunterricht in den Fachzeitschriften deutlich erhöht und auch Gespräche mit Lehrenden zeigen, wie stark solche einfach zugänglichen digitalen Medien den modernen Fremdsprachenunterricht schon verändert haben: Sie bieten viele Möglichkeiten, die deutsche Sprache und Kultur so lebendig und real wie möglich ins Klassenzimmer / in den Kursraum zu holen, um die Lernenden zu motivieren, Impulse zu geben, um Emotionen zu wecken und durch gemeinsames Erleben die Kommunikation zu fördern.

Aufgabe 2: Erstellen Sie eine Wort-Wolke, die einen kleinen Eindruck dessen vermittelt, was an digitalen Lehr- und Lernmedien heute alles im Deutschunterricht genutzt wird. Suchen Sie sich dafür selbst ein Tool und laden Sie Ihre Ergebnisse im Forum zu Aufgabe 2 hoch.


6. Auf neue Entwicklungen reagieren

Die technische Entwicklung der digitalen Medien schreitet schnell voran. Auch in der Fremdsprachendidaktik wird laufend überlegt, ob und wie die technischen Entwicklungen für das Lernen nutzbar gemacht werden können. An einigen Stellen haben digitale Medien sehr schnell Einzug in den Deutschunterricht gehalten – Recherchen im Netz zu vielfältigen Themen sind in vielen Klassenzimmer der Welt fester Bestandteil des Deutschunterrichts; die Arbeit mit YouTube-Videos findet sich häufig; der Griff zu Online-Wörterbüchern ist bei vielen Lernenden, die Smartphones haben, fast schon eine Selbstverständlichkeit; kaum ein Lehrwerk bietet nicht auch irgendeine digitale Komponente an usw.

In den meisten Fällen entscheiden sich Lehrende für den Einsatz von digitalen Medien, weil sie es didaktisch für sinnvoll halten und nicht (nur) deshalb, weil man es mit digitalen Medien anders machen kann als vorher. Sie folgen also dem Primat des Didaktischen: Sie sind durchaus offen für Neuheiten und gleichzeitig skeptisch genug. Nur weil ein neues Medium vorhanden ist, schließen sie daraus nicht automatisch, dass man es auch sinnvoll in den Unterricht integrieren kann. Stattdessen prüfen sie, ob es für das Erreichen von Zielen, die das Fremdsprachenlernen im Einzelnen ausmachen, für die Zielgruppe und den Kontext, in dem sie unterrichten, geeignet ist. Da der Einsatz digitaler Medien zu Beginn oft mit einem Mehraufwand verbunden ist, wird zudem häufig gefordert, dass es einen deutlichen Mehrwert geben muss im Vergleich mit der Art und Weise, wie die Ziele vorher erreicht worden sind. Auch das ist gerechtfertigt.

Gleichzeitig birgt die Forderung nach dem Primat des Didaktischen auch eine Gefahr: Nämlich die, die digitalen Medien nur in ihrer dienenden Funktion für den Deutschunterricht, wie man ihn „schon immer gemacht hat“, zu sehen. Damit versäumt man, in Zusammenhang mit der weltweit voranschreitenden Digitalisierung auch darüber nachzudenken, wie diese den Fremdsprachenunterricht verändert hat, verändern kann und verändern wird. Dazu gehört auch, dass sich die Rolle der Lehrenden verändert: Lehrende werden die Lernprozesse der Lernenden in Zukunft wahrscheinlich immer mehr begleiten und immer weniger komplett steuern.